Teil 2: Karakorum Highway
Bericht 45 vom 28.7.2022, geschrieben von Michael.
Der Karakorum Highway ist – zum Glück – kein richtiger Highway, sondern eher eine Landstraße, die das chinesische Kashgar mit Islamabad in Pakistan verbindet. Die Straße geht über einen 4800m hohen Pass und hat aufgrund des zum Teil dramatischen Straßenverlaufs eine gewisse Berühmtheit erlangt. Der Bau der Straße vor 50 Jahren hat wohl auch zahlreiche Opfer gefordert. Um die Straße auf chinesischer Seite entlangzufahren, muss man zuvor eine Genehmigung einholen. Das ging unproblematisch: Wir waren am Tag zuvor mit unserem Führer in dem entsprechenden Amt und hatten nach kurzer Zeit die Genehmigung; diese galt für die Strecke von Kashgar bis Tashkurghan. Wir sind also von Kashgar nach Tashkurghan (und zurück) den Karakorum Highway entlanggefahren. Oder um genau zu sein: Wir haben uns fahren lassen. Tashkurghan ist rund 100 km Luftlinie von der chinesisch–afghanischen Grenze entfernt. Die Strecke bis Tashkurghan ist der Bereich, den ausländische Touristen typischerweise befahren. Im Internet und in Reiseberichten findet man Bilder von sehr dramatischen Straßenführungen und Fahrsituationen, die sicher zum Mythos des Karakorum Highways beigetragen haben. Davon findet sich auf dem besagten Teilstück nichts mehr: Dieses ist eine ordentlich angelegte, breite Straße, die durchs Gebirge führt.

Der chinesische Teil der Straße wurde vor einigen Jahren komplett erneuert und mit zahlreichen Tunneln und Brücken begradigt und entschärft. Außerdem sind die ganz dramatischen Stellen wohl von Anfang an eher auf der pakistanischen Seite zu finden gewesen.
Landschaftlich ist der chinesische Teil des Karakorum Highways sehr reizvoll: Seen, Wüste und Hochgebirge.

Die verschiedenen Gebirgszüge, die man sieht, sind ein bisschen schwierig auseinander zu halten. Die Namen hat man zum Teil schon gehört, zum Teil aber auch nicht. Zum Beispiel gibt es das Tian Shan Gebirge, was bis 7500 m hoch ist und im Schnitt 4000 m hoch liegt. … schon mal gehört? Zur Orientierung habe ich eine Karte gemalt:

Wenn man aus Kashgar raus ist, sieht die Landschaft für europäische Augen sehr schnell nach dramatischem Hochgebirge aus. Man ist anfangs erst auf 1000 m Höhe, aber es sieht so aus, wie man sich 5000 m Höhe vorstellt, da es kein Grün mehr gibt, nur noch Fels und Steine. Das liegt daran, dass es so fürchterlich trocken ist. Es ist Wüste und Gebirge in einem. Man fährt im Prinzip durch Geröllwüste mit Kamelen stetig bergan ins Hochgebirge. Es ist quasi das Gegenteil von dem, was wir letztes Jahr in Yunnan und auch dieses Jahr in Sichuan erlebt haben: Dort sieht es auf 3500 m aus wie in Europa auf 1200 m mit saftigen grünen Weiden. Am Karakorum Highway ist es teilweise umgekehrt: wie gesagt auf 1000 m kein Grün mehr, nur noch Steine, so dass man denkt, man sei im höchsten Hochgebirge. Man merkt halt, wie stark man von den alpinen Ansichten geprägt ist.
Allerdings geht es dann stetig doch ziemlich weit hoch. Der höchste Pass, über den wir gefahren sind, ist 4100 m hoch.

Solange man im Auto sitzt, verliert man das Gefühl, auf welcher Höhe man gerade ist, da es auf 1000 m wie auf 4000 m irgendwie ähnlich aussieht. Wenn man aussteigt, merkt man den Unterschied. Auf 4100 m weht der Wind stärker und man ist nach wenigen Schritten bergan schon außer Puste.
Die Landschaft, durch die man fährt, ist wirklich grandios. Die Gegend ist so niederschlagsarm, dass die Kriterien für Wüste erfüllt sind. An den kahlen, unfassbar steilen Berghängen haben wir Bergziegen herumkraxeln gesehen. In der ebenen Geröllwüste sieht man Kamele, die zwischen dem Geröll ihr Futter finden. Die Kamele sind halbwild und ziehen in Gruppen unbeaufsichtigt herum. Aber jedes Stück Vieh, das wir gesehen haben, hat wohl einen Besitzer. Wenn der Bauer seine Kamele braucht, muss er sie halt suchen gehen.

Das Foto zeigt besonders viele Dinge, die wir gesehen haben, auf einmal: Die großartige Landschaft, die Trockenheit, Kamele, die Straße und die Oberleitungen, die zeigen, dass der Mensch das Gebirge erobert hat. Auch die violetten Blümchen, von denen später noch die Rede ist, kann man erkennen. Die Ziegelbauten im Hintergrund sind Gräber.
Dort, wo Wasser fließt, das von den Gletschern auf den Bergen gespeist wird (die Berge, die wir gesehen haben, waren bis zu 7700 m hoch), entstehen grüne Inseln. Die Gegend um Kashgar ist eine solche (sehr große) grüne Insel, eine Oase. Sehr interessant auch: Das Wasser aus den Bergen fließt über den Kaxgar-Fluss (und weiter südlich den Yarkant-Fluss) nach Osten. Dort vereinen sich mehrere Flüsse in den Tarim. Der Tarim erreicht aber nie den Ozean. Er verliert durch Verdunstung und Versickerung sein Wasser und endet im Nordosten der Taklamakan-Wüste. Durch die Wasserentnahme des Menschen versickern und verenden die Flüsse heute wohl noch früher als ohnehin schon.
Aber zurück zu den Grünflächen, wo es Wasser gibt:

Dort haben wir Yaks und auch Kühe gesehen. Kühe, die wie klassische europäische Rinder aussehen, haben wir sogar erstaunlich häufig gesehen. Ich hatte gedacht, diese Art von Kühen sei zu empfindlich fürs Hochgebirge, deswegen gäbe es ja die Yaks. Scheint zumindest im Karakorum nicht so zu sein. Als wir dort waren, haben auf den grünen Grasflächen Unmengen von kleinen violetten Blümchen geblüht. Dazwischen hoppeln richtig fette Murmeltiere umher, die wie in den Alpen pfeifen und in ihren Löchern verschwinden, wenn wir zu nahekommen.
Wunderschöne Landschaft: Bilder sagen, glaube ich, mehr als alle Worte.


Gegen Abend sind wir in Tashkurghan angekommen, weiter durften wir nicht mit unserem Permit – aber wir hatten auch so den Eindruck, genug im Auto gesessen zu haben. Abends wird es spät dunkel in Tashkurghan: In ganz China gilt eine Zeitzone, auch wenn es vom Osten Chinas bis zum äußersten Westen Chinas über 4000 km Abstand sind. Das führt dazu, dass in Kashgar die Sonne sehr spät aufgeht und sehr spät untergeht. Eigentlich ist Kashgar schon lange in einer anderen Zeitzone. Pekingzeit minus zwei Stunden wäre realistisch. Aber das ist in einem Land, das viel Wert auf Einheit legt, nicht gewünscht. Man hat uns gesagt, die Leute in Kashgar leben zum Teil inoffiziell nach Kashgar-Zeit, das ist eben die besagte Peking Zeit minus zwei Stunden. Wir haben auch gehört, dass in der Vergangenheit Menschen dafür bestraft wurden, die sogenannte Kashgar-Zeit zu nutzen.
Tashkurghan liegt auf 3100 m und ist schon seit vielen Jahrhunderten eine Station auf dem Weg von China nach Westen. Dort, wo heute der Karakorum Highway verläuft, waren auch schon wichtige Reiserouten zur Zeit der alten Seidenstraße. Kleines Schmankerl am Rande: Hier auf diesem Teil der Seidenstraße haben wir mehrfach das Schiff als Symbol gesehen. Sehr interessant, da man viele 1000 km vom nächsten Ozean weg ist. Weiter weg vom Meer als hier geht wohl kaum. Aber das Schiff gilt wohl als Symbol des Fernhandels.
Die heutige chinesische Strecke ist wie gesagt eine gut ausgebaute Straße, die einfach zu fahren ist. Schwierige Stellen sind durch Tunnel oder zum Teil sehr aufwändige Talbrücken begradigt. Trotzdem kann man noch erfahren, dass der Karakorum Highway auch in China dem Gebirge abgetrotzt ist: Auf dem Weg bergauf haben wir eine Stelle passiert, wo vor einigen Tagen ein Erdrutsch die Straße blockiert hat. Es war schweres Gerät im Einsatz, um neben der Straße aufzuräumen, die Straße selber war schon wieder frei. Als wir am nächsten Tag wieder talwärts fuhren, standen wir im Stau: Über Nacht hatte es erneut einen Erdrutsch gegeben. Dieser wurde gerade beseitigt: Am vorderen Ende des Staus lag der Erdrutsch auf der Straße und wurde mit Radladern, einer Raupe und einem Bagger bei Seite geschafft. Diese Erdrutsche scheinen alltäglich zu sein, es gibt wohl ein Team, das dann sofort ausrückt, um die Straße wieder passierbar zu machen.

Wir haben uns gefragt, wie groß die Wahrscheinlichkeit ist, dass so ein Erdrutsch tatsächlich mal ein Auto erwischt. Wir haben nicht nur uns gefragt, sondern auch unseren Führer. Er wusste es nicht, konnte aber berichten, dass es schon Autos gab, die in die rutschende Erde hineingefahren sind und mit dem ganzen Erdrutsch in den Fluss gespült worden seien.
Eine Bemerkung zum Thema Führer: Die Reisebüros in Peking erläuterten uns, dass man in Xinjiang nur mit Führer reisen darf. Der Führer ist immer dabei. Tatsächlich kann man ganz offenbar auch ohne Führer reisen, Bekannte von uns tun dies. Und es scheint zu funktionieren. Einen Führer zu haben, spart einem schon öfter mal einiges an Zeit: Er weiß, wie alles funktioniert, wo man anstehen muss, wie man Tickets bekommt. Auch das Einchecken im Hotel ist einfacher. Natürlich kann der Führer einem auch Fragen zur Geographie oder der Geschichte beantworten. Wenn es um aktuelle Themen geht, erhält man gerne auch Antworten, die vermutlich einer offiziellen Sprachregelung entsprechen. Die Führer müssen vermutlich sehr vorsichtig sein und sind das auch. Wir haben gehört, dass der Führer Ärger bekommt, wenn Ausländer etwas Falsches über Xinjiang schreiben oder schlechte Fotos veröffentlichen. Dann wird herausgefunden, wer der verantwortliche Führer ist, und der wird bestraft, wohl durchaus drakonisch.
Noch eine Beobachtung, die man überall in China machen kann, und eben auch in der wunderschönen Natur: Überall sieht man, dass achtlos Dreck und Müll weggeworfen wird. An den schönsten Aussichtspunkten liegt der Müll rum. Unser Fahrer auf dem Karakorum Highway hält unser Auto peinlich sauber. In jeder Pause sammelt er unseren Müll ein. Den Mülleimer, der im Auto steht, leert er mehrfach täglich. Wir mussten ihn bitten unsere leeren Wasserflaschen im Auto zu lassen, da wir sie wieder auffüllen möchten. Sogar eine Mehrfachflasche hat seine Aufräum-Wut getroffen und entsorgt. Irgendwann waren wir allerdings ein bisschen erstaunt, als wir gesehen haben, wie er mit einer Dose und einem Schokoladenpapier umgegangen ist, als wir eine kurze Pause gemacht haben. Beides hat er einfach achtlos fallen lassen. Wir haben uns dann gefragt, wie er den Mülleimer des Autos leert? Als wir von einem kurzen Ausflug zurück zum Auto kamen, war der Mülleimer schon wieder entleert. Eine Runde ums Auto hat uns gezeigt, wo der Müll gelandet ist: einfach hinters Auto gekippt. Komische Art von Reinlichkeit.
Am Karakorum Highway gibt es eine ziemlich drastische Methode, die Verkehrsunfälle zu reduzieren. Schwer verunfallte Autowracks werden am Straßenrand aufgestellt, um die vorüberfahrenden daran zu erinnern vorsichtig zu fahren.

Also fahrt vorsichtig!
Euer Michael
Schön zu sehen, wie es heute ist. An die flinken Murmeltiere erinnere mich sehr gut. LG Ulrike
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