Bericht 62 aus China, nein, eigentlich aus Vietnam. Geschrieben im April 2023 von Michael.
Die Ferientage an der deutschen Schule in Peking sind eine Mischung aus chinesischen und deutschen Feiertagen. Es gibt hier also Osterferien. Die haben wir genutzt, um 10 Tage nach Vietnam zu reisen. Unsere ersten Eindrücke aus Hanoi, der Hauptstadt Vietnams, in der wir gelandet sind: wahnsinnig viele Mopeds! Noch viel mehr als in Peking oder in Phnom Penh.

Der zweite Eindruck: Die Menschen sehen nicht arm aus und es scheint etwas weniger Spreizung zwischen Arm und Reich zu geben, als wir das in Phnom Penh oder auch in Peking sehen.
Nordvietnam, dort wo wir waren, ist sehr feucht. Es gibt viele Flüsse und Tempel und wir hatten praktisch jeden Tag Niederschlag, obwohl die Regenzeit noch gar nicht angefangen hatte. Das sieht man auch an unseren Urlaubsfotos. Der blaue Himmel, der uns in Peking (meist) verwöhnt, hat ein bisschen gefehlt. Wegen des Klimas ist die Vegetation sehr üppig; selbst mitten in der Stadt sieht man 20 Meter hohe und wahnsinnig dicke Bäume.

Uns kam die ganze Kultur in Vietnam viel vertrauter und viel westlicher vor als in China. Allein schon dadurch, dass man die Schriftzeichen identifizieren kann. Wir sahen sehr westlich anmutende Gebäudefassaden, das liegt vermutlich (auch) an der Kolonialzeit. Vietnam war französische Kolonie und es scheint, dass auch bei neu gebauten Häuser immer noch Stilelemente der französischen Kolonialzeit verwendet werden.

Vietnam ist wie China ein ehemals kommunistisches Land mit Ein-Parteien-System. Die kommunistische Partei vereint alle Macht auf sich. Kleiner Exkurs: Die vietnamesischen Kommunisten hatten sich historisch eng an die Sowjets angelehnt, während die chinesische Einheitspartei unter Mao ihren eigenen Weg („Maoismus“) entwickelte. Das hat auch dazu geführt, dass beide Länder, obwohl kommunistisch, ein durchaus distanziertes Verhältnis zueinander haben. Es gab um die 1980er Jahre sogar einen (kurzen) Krieg zwischen China und Vietnam, an dessen Ende sich China zurückziehen musste. Wie in China sind auch in Vietnam die kommunistische Partei und die roten Fahnen allgegenwärtig. Das Gebäude auf dem Foto links ist im Übrigen kein Tempel, sondern ein Versammlungshaus der kommunistischen Partei, soweit wir das verstanden haben:

Eines unserer Hotels lag an einer Grünanlage. Morgens ab 6:30 Uhr und abends tönten aus den Lautsprechern dort Musik und Texte. Wir vermuten, Propagandatexte. Überhaupt sieht man relativ viele „Bildungs“- oder Propagandaplakate.
Wir haben allerdings den Eindruck, dass die Freiheit in Vietnam sehr viel größer ist als in China. Ein klares Indiz dafür ist, dass es freies Internet gibt. Man kann in Vietnam problemlos alle westlichen Internetseiten aufrufen. Auch hat der Reiseführer, der unsere „Kreuzfahrt“ in der Halong-Bucht betreut hat, sehr offen seine Meinung gesagt. Es hat uns beispielsweise erzählt, dass es sehr viel Korruption in der Beamtenschaft gibt. Auch hat er sich sehr kritisch geäußert bezüglich chinesischer Investoren, die über vietnamesische korrupte Beamte und über Strohmänner in Vietnam investieren. Überhaupt hat er durchaus kritische Worte gefunden. Einiges von dem, was er gesagt hat, würde man in China vermutlich nur einmal vor Publikum sagen können. Ein sehr klares Indiz dafür, dass die Freiheit in Vietnam sehr viel größer ist als beispielsweise in China.
Interessant auch, was der Reiseführer über den traditionellen Totenkult in Vietnam erzählt hat: Tote werden in Vietnam zweimal bestattet: einmal, wenn sie gestorben sind, und dann werden sie nach einigen Jahren wieder ausgegraben. Dann wird der Sarg geöffnet, die Knochen geputzt und anschließend werden die Knochen ein zweites Mal bestattet, dann für immer. Passend zu dieser aufwendigen Tradition haben wir auffällig viele Grabmäler und Friedhöfe gesehen auf unserer Tour durch Vietnam.

In Vietnam wird man schnell zum Millionär: 25.000 vietnamesische Dong (VND) entsprechen etwa einem Euro. Am ersten Tag haben wir 9 Millionen von der Bank geholt. Das macht man auch nicht allzu oft im Leben – zumindest nicht im Euroraum. Wir haben es auch problemlos geschafft für eine Mahlzeit ein Millionenvermögen auszugeben. David meinte die iPhone-Preise seien moderat und trotzdem reden wir von 10 bis 30 Millionen.

Unsere erste Station außerhalb Hanois war die Halong Bucht. Das ist ein Küstenstreifen in der Nähe von Hanoi. Etwa zweieinhalb Stunden Fahrt mit dem Bus. Dort haben wir eine „Kreuzfahrt“ gemacht mit einer Übernachtung auf dem Schiff. In der Halong Bucht stehen unzählige … also unzählige stimmt nicht. Sie sind gezählt worden: es sind 1969 … Felsinseln im Meerwasser. Das Meer ist sehr flach, so dass nur kleine Schiffe zwischen den Inseln navigieren können. Das ist wohl ganz günstig, weil sich die Halong-Bucht dadurch nicht als Ziel für große Kreuzfahrtschiffe eignet. Das Beeindruckende ist nicht die einzelne Insel im Meer. Das Tolle ist die Vielzahl der steil aufragenden Felsen. Man fährt stundenlang an diesen Inseln vorbei. Sehr schön. Leider ist das Wetter in dieser Gegend häufig warm, aber trüb, so auch bei uns: bewölkter Himmel. Trotzdem ein grandioser Ausflug. Wir sind auch mit Kajaks über das Meerwasser gefahren und konnten an einem Sandstrand im Meer baden. Nebenbemerkung: Hier sieht man relativ viele Asiaten als Touristen, zum Beispiel Inder, eigentlich nicht weiter verwunderlich, da die Anreise für sie günstig ist.

Die zweite Gegend Nordvietnams, die wir besucht haben, war die Region um Ninh Binh. Diese Gegend wird auch die trockene oder die grüne Halong-Bucht genannt. Dort hat sich eine Karstlandschaft herausgebildet, die sehr sehenswert ist und es auch auf die Unesco-Welterbeliste geschafft hat: Steile hohe Hügel ragen aus der feuchten Ebene heraus. Die Gegend ist sehr fruchtbar: Dort, wo es flach ist, wird Landwirtschaft betrieben (viel Reis) und dort, wo es zu unwegsam ist, wuchert der Urwald. Die Landschaft ist vom Wasser geprägt: Die ebenen Flächen sind feucht, es gibt viele Seen, Flüsse, Flussarme und Kanäle. Darüber hinaus sind die steilen Hügel vom Wasser durchlöchert: überall wasserführende Höhlen. Man kann an verschiedenen Stellen Bootstouren unternehmen, bei denen man mit dem Boot durch zahlreiche Hügel fährt. Wir hatten mehrfach den Eindruck, dass das Gewässer, über das wir gerudert wurden, eine Sackgasse war. Und plötzlich tut sich irgendwo eine Höhle auf, die einen durch den Berg hindurchführt. Auf der anderen Seite der Höhle kommt man auf einem anderen See oder Kanal wieder ans Tageslicht. Viele der schiffbaren Höhlen sind mehrere hundert Meter lang. Es gibt auch kilometerlange Höhlen. Viele sind so niedrig, dass man sich ducken muss, um den Kopf nicht anzuschlagen.


Man rudert nicht selber, sondern wird gerudert, und das ist gut so. Ich bin mir sicher man könnte sich auf den Gewässern dort völlig verirren. Die Ruderer dort beherrschen eine beeindruckende Technik: Sie rudern mit den Füßen:

Ein nicht so schönes Thema ist, dass wir den Eindruck hatten, dass in Vietnam sehr viel gefeilscht, geschummelt und betrogen wird. An verschiedenen Sehenswürdigkeiten, zu denen wir mit dem Fahrrad gefahren sind, standen alte Frauen, die eine Parkgebühr für das Fahrrad verlangen. Wenn man die Gebühr nicht bezahlen will, schreien sie rum. Wenn man sein Fahrrad dann woanders – außerhalb ihres Einflusses – abstellen will, auch. Es handelt sich ganz offensichtlich nicht um eine offizielle Geschäftstätigkeit, sondern um eine selbst erfundene. Wenn man nicht zustimmt eine Gebühr zu entrichten, eskalieren die alten Frauen sofort: Sie schreien lautstark rum und zerren an den Fahrrädern. Es bleibt einem nichts Anderes übrig, als die Gebühr zu bezahlen, wenn man die betreffende Sehenswürdigkeit besuchen will.
In Restaurants haben wir den Eindruck, dass die Preise für die Gerichte zum Teil willkürlich festgelegt werden. Die englische Speisekarte weist keine Preise auf. Wir haben in einem Restaurant darauf bestanden beim Bestellen gesagt zu bekommen, was jedes Gericht kostet. Das hat ganz gut geklappt. Die Dinge, die wir anschließend noch dazu bestellt haben, ohne nach dem Preis zu fragen, waren dann allerdings erstaunlich teuer verglichen mit den anderen Gerichten.
Ein Taxifahrer wollte für eine 2,5 km lange Taxifahrt acht Dollar von uns haben, wir haben abgelehnt. Die gleiche Fahrt organisiert von unserer Unterkunft hat zwei Dollar gekostet. Der reale Preis ist also um einen Faktor vier niedriger. Auch sonst haben wir den Eindruck, dass Mondpreise aufgerufen werden. Manchmal werden die Preise auch während des Bezahlvorganges noch mal „angepasst“. An einem Getränkeverkaufsstand habe ich gefragt, was das Wasser kostet und die Antwort war 5000 VND. Als ich die Flaschen in der Hand hatte, kam eine andere Frau, die dann schreiend 10.000 VND gefordert hat. Die ursprünglichen 5.000 waren vergessen.
Wir hatten vereinbart, dass wir für einen Fahrer mit Auto für einen Tag 850.000 VND bezahlen. Als wir am Ziel waren, wollte der Fahrer 950.000. Es gab leider nichts Schriftliches.
Ein besonders interessantes Beispiel, bei dem wir „beschissen“ werden sollten und worden sind, war eine Taxifahrt in Hanoi. Wir wussten aus vorhergegangenen Taxifahrten, die das Hotel für uns organisiert hatte, dass die Fahrt vom Literatentempel in Hanoi zum Opernhaus (ungefähr zweieinhalb Kilometer Strecke oder 15 Minuten Fahrtzeit) zwei bis drei Euro kosten sollte. Der Taxifahrer meinte aber, er fahre per Taximeter. Auch OK, wir stimmten zu und stiegen ein. Während der Fahrt kommt es uns spanisch vor, wie schnell das Taximeter hochzählt. Angekommen am Opernhaus sollen wir ungefähr 15 € bezahlen. Da wir zuvor Abrechnung nach Taximeter vereinbart haben, will ich gar nicht groß rumdiskutieren. Allerdings will ich sein Taximeter fotografieren — unter anderem, um zu dieser Geschichte hinterher ein Foto zu haben. Als ich den Fotoapparat zücke, wird der Fahrer hektisch und schaltet das Taximeter schnell aus. Nein, nein, sagte er, das Taximeter zähle nicht, ich solle doch 150.000 VND bezahlen, umgerechnet 6 Euro, und damit weniger als die Hälfte der auf dem Taximeter angezeigten 330.000 VND.
Es heißt ja, dass in China praktisch alles gegessen wird. Es gibt das alte Bonmot, dass alles, was im Wasser schwimmt und kein U-Boot ist, alles, was 4 Beine hat und kein Tisch ist, alles, was am Himmel fliegt und kein Flugzeug ist, von den Chinesen gegessen wird. Ich habe den Eindruck in Vietnam ist es noch ausgeprägter: Wir haben viele Nahrungsangebote gesehen, die nicht alltäglich sind: so zum Beispiel Hund, Katze und ein Tier, was wir für einen Bieber halten. Wer es nicht so genau wissen will, kann das nächste Foto schnell übergehen.

Und zum Schluss dieses Blogs, wie so oft, wieder was Nettes: das Wassermarionetten- oder Wasserpuppentheater. Es ist ähnlich unserem Marionetten- oder Handpuppentheater. Holzfiguren werden von Figurenspielern bewegt und mit Stimme versorgt und es wird ein Schauspiel vorgeführt. Der Unterschied ist, dass beim typisch vietnamesischen Wasserpuppentheater die Bühne aus Wasser ist. Die Figuren bewegen sich auf der Wasseroberfläche. Die Figurenspieler stehen im Wasser hinter der Bühne hinter einen Bastvorhang, so dass die Spieler ihre beleuchteten Puppen sehen können, die Spieler selber aber für das Publikum unsichtbar sind. Auf dem Foto unten stehen die Puppenspieler ausnahmsweise vor dem Vorhang, um nach der Vorstellung die Fragen des Publikums zu beantworten. Die Figuren werden an Stangen geführt, die im Wasser liegen. Einige Figuren haben zusätzliche Funktionen, die mit Seilen oder Zusatzstangen bedient werden. Der Drache auf dem Foto kann sogar Wasser speien, dazu ist die Hauptbedienstange innen hohl und hat einen innenlaufenden Kolben, mit dem der Spieler Wasser durch den Drachen drücken kann.

Ich denke, die Tatsache, dass dieses Puppentheater im Wasser stattfindet und das Wasser als Element nutzt, liegt daran, dass diese Art des Puppentheaters aus den Tiefebenen Vietnams kommt, in der das Wasser das dominierende Element ist. Überall Kanäle, Flussarme und Reisfelder. Da findet dann auch das Theater im Wasser statt. Die Zuschauer allerdings durften auf dem Trockenen sitzen.
Ich wünsche Euch allzeit trockene Füße und gute Unterhaltung.
Euer
Michael
