Bericht sieben aus China im September 2020. Geschrieben von Michael.
Beijing, im Auto, auf der Fahrt von der Arbeit nach Hause.
Vor zwei Wochen waren wir zu einem Ausflug einer Nachbarabteilung eingeladen. Es ist schon zwei Wochen her – die Tage hier sind so dicht, dass ich gar keine Zeit finde, Eindrücke aufzuschreiben und Fotos auszuwählen.
Die Nachbarabteilung hatte alle „Directors“ der anderen Entwicklungsabteilungen eingeladen, und da der Ausflug am Wochenende stattfand, samt Familien. Wir sind also am Samstag recht früh morgens (7 Uhr) mit dem Auto von Pekings Stadtkern in Richtung Norden gefahren. Um genau zu sein, wir haben uns von unserem Fahrer Li Gong fahren lassen, da wir keinen chinesischen Führerschein haben und daher in China (bislang) nicht selbst Auto fahren dürfen. Nach einer knappen Stunde hatten wir die Innenstadt von Huairou erreicht (den Stadtteil von Peking, in dem ich arbeite). Von dort ging es noch eine gute Stunde weiter in Richtung Norden, wo es bald gebirgig wird. (Peking selbst ist komplett eben.)
Die Berge im Norden sind zwar nicht sehr hoch, aber recht schroff, viel steiler als ein deutsches Mittelgebirge. An einem (der vielen) Abschnitte der chinesischen Mauer vorbei schlängelt sich die Straße kurvig in die Berge und man sieht, wie eine neue, schnurgerade Straße mit Brücken und Tunneln in die Berge getrieben wird. Ich vermute, (auch) für die olympischen Winterspiele, die 2022 in Peking abgehalten werden. Einen Skilift sieht man ebenso. Dann ging es von der Hauptstraße rechts ab in ein hübsches Tal, durch das sich ein Fluss schlängelt. Dort war Treffpunkt in einem Dorf, das praktisch nur aus Gaststätten („Hotels“ sagte mein chinesischer Kollege dazu) zu bestehen scheint. Dazu später mehr.
Zunächst standen zwei Stunden „mountain climbing“ auf dem Programm. „Climbing“ bedeutete zwar nicht klettern, aber „mountain“ war ernst gemeint. Wir sind zunächst ein paar Schritte am Fluss entlanggelaufen und dachten schon, es würde ein Spaziergang am Flussufer entlang. Doch dann bogen wir vom Fluss ab in die Berge hinein. Das hieß: auf Naturfels-Stufen 45 Minuten durch den Wald bergauf. Also: eine Dreiviertelstunde Treppensteigen mit unterschiedlichen Treppenstufenhöhen (Foto).


Oben haben wir die Aussicht genossen (Foto), ein paar Fotos gemacht und dann ging es die Felsstufen wieder runter.

War gut für Muskelkater. Sonst war es auch gut: Der Wald roch wie bei uns und nach vielen Wochen ausschließlich Stadtluft haben die frische Waldluft und die grüne Umgebung sehr, sehr gutgetan.

Nach der Wanderung stand das Mittagessen in besagtem Dorf auf dem Programm.


Praktisch in allen Häusern wird Gastwirtschaft betrieben, ein Haus neben dem anderen im chinesischen Hutong-Stil: Im überdachten Innenhof ist der Gastraum, in dem gegessen wird. Die Küche und die Wohnräume liegen um den Innenhof herum und haben Fenster und Türen nur zum Hof hin. Wenn Gäste übernachten wollen, werden die Wohnräume als Schlafräume vermietet. Gibt es keine Gäste, werden die Räume von der Familie des Gastwirtes benutzt. Unsere Wirtsfamilie hat über zwei Hutong-Häuser nebeneinander verfügt. Wenn man als größere Gruppe kommt, so wie wir, belegt man die ganze Gastwirtschaft. Auch das hilft, um eine sehr ungezwungene familiäre Atmosphäre entstehen zu lassen.

Ich habe mich interessiert umgeschaut und der Wirtsvater, ein runzeliger alter Mann voller Falten, wollte mir ganz stolz sein schönstes Zimmer zeigen. Das Zimmer betritt man von einem anderen Raum aus, so dass es zum Hof hin keine Tür gibt, nur ein Fenster, das die ganze Breite des Raumes einnimmt. Unter dem Fenster befindet sich eine fest eingemauerte Bettstatt, die ebenfalls die ganze Breite des Raumes von einer Wand bis zur anderen einnimmt. In dem Bett schläft im Winter, wenn es in Peking und Umgebung empfindlich kalt wird, die ganze Familie nebeneinander. Und um sich gegen die Kälte zu wappnen, wird das Bett beheizt. Das gemauerte Bett ist von unten sozusagen ein Kachelofen: vom Hof aus macht man im Winter unter dem Bett ein Feuer (siehe Foto).

Grillgerichte werden im Übrigen auf einem Grill auf der Straße zubereitet. Vor allen Gasthäusern, die an diesem Tag Gäste haben, steht auf der Straße vor dem Hutong ein Grill. Das Grillen auf der Straße ist vermutlich deswegen besser, da die Brandgefahr sehr viel geringer ist als im Innenhof, und außerdem hat man keinen Rauch im Innenhof. Wir haben zum Beispiel wunderbaren gegrillten Fisch bekommen.


Nach dem Mittagessen hat jeder erstmal ganz ungezwungen gemacht, was er wollte. Viele (insbesondere die Kollegen, die zu Mittag schon reichlich Baidu-Schnaps getrunken haben) hielten einen Mittagsschlaf auf den herumstehenden Sofas oder auch in den Schlafräumen. Julia hat mit der gleichaltrigen Tochter eines Kollegen gespielt und wir (David, Simone, Paul und ich) haben die Grundzüge von Mah-Jongg erlernt. Der Fahrerhaus-Direktor ist ein hervorragender Lehrer und wohl auch ein hervorragender Mah-Jongg-Spieler, den Bemerkungen der Kollegen nach zu urteilen. Mah-Jongg ist ein chinesisches Spiel, das man zu viert spielt. Es ähnelt von den Spielregeln am ehesten unserem Rommé. Es geht darum, als erster alle seine Spielsteine versorgt zu haben, man darf ziehen und abwerfen. Allerdings spielt man nicht mit Karten, sondern mit Steinen („Bricks“). Es gab in der Gaststätte einen vollautomatischen Tisch, der die Bricks mischt und vor jedem Spieler eine hübsche Mauer aus Bricks aufstellt, so dass man auf Knopfdruck sofort mit dem Spiel beginnen kann. Das „echte“ Mah-Jongg darf man nicht mit dem Mah-Jongg verwechseln, dass man als Ein-Mann-Spiel auf vielen Computern findet. Nur die Spielsteine sind gleich. Spielablauf und Spielziel sind völlig anders — ähnlich wie man bei uns ja auch Rommé und Solitaire mit den gleichen Karten spielt, es aber völlig unterschiedliche Spiele sind.
Der automatische Mah-Jongg-Tisch.
Während wir Mah-Jongg gespielt haben, hat sich im zweiten Innenhof eine Karaoke-Gesellschaft gebildet. Gegen halb vier stand der zweite Outdoor-Programmpunkt auf dem Plan: Wir sind ein paar Minuten mit dem Bus den Fluss runtergefahren und haben dann eine Schlauchbootfahrt auf dem Fluss unternommen. Immer zwei Personen in einem Schlauchboot. Der Fluss war lebendig, hatte einige Stromschnellen und immer Strömung, sodass wir ganz kurzweilig den Fluss runtergetrieben sind. Nur der Ausstieg kam ein bisschen plötzlich, so dass Julia und ich vorbeigerauscht sind, wie fast alle anderen auch. Wir haben uns dann dreihundert Meter weiter flussabwärts ins Schilf gerettet und sind durchs Unterholz zurückgelaufen – Julia barfuß und ich mit dem Schlauchboot auf dem Rücken. Andere Bootspaarungen sind noch weiter am Ziel vorbeigeschossen und mussten mit dem Auto abgeholt werden. Alle hatten einen Riesenspaß! Leider hatte Julia keine zweite Hose mit. Aber auch dafür gab es eine Lösung: Am Bootsverleih lief eine Frau herum und verkaufte – was wohl – trockene Hosen. Uns ist nicht klar, wer die Hose bezahlt hat, aber Julia hatte im Handumdrehen eine trockene Hose an.


Zurück im Dorf gab es in der gleichen Gaststätte ein fröhliches Abendessen und dann sind wir nach Hause gefahren. Nach so einem ereignisreichen Tag waren Mo und ich sehr froh, nicht mehr selber fahren zu müssen.
Bis zum nächsten Bericht unserer Erlebnisse!
Liebe Grüße,
Euer Michael
Deine anschaulichen Berichte lese ich gern und kann mir vorstellen, wie interessant das alles für euch ist. Weiterhin alles Gute!
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