Das Land der vielen Mauern

Bericht 33 vom 31. Dezember 2021, geschrieben von Michael.

China ist bekanntlich das Land der Großen Mauer, die ja in Wirklichkeit auch nicht eine Mauer ist, sondern aus ganz vielen Mauern besteht, die zu unterschiedlichen Zeiten an unterschiedlichen Orten gebaut wurden. Auch die Angreifer, die hinter der Mauer gehalten werden sollten, waren über die Jahrhunderte nicht immer die gleichen. So gibt es auch im Süden Chinas „große Mauern“, die das eine chinesische Volk als Verteidigung gegen ein anderes chinesisches gebaut hat.

Die wichtigste große Mauer ist aber sicher die, die China nach Norden hin beschützen sollte. Diese historische Grenze Chinas verläuft nahe Peking. Die Wahl Pekings im Norden als Hauptstadt hat eben auch damit zu tun, dass man die größte Gefahr von Norden her sah und dass man die mächtigsten Führer und Truppen nahe der gefährlichen Nordgrenze haben wollte. Bei Peking kann man daher die große Mauer auch in ihrer ganzen Pracht und Größe besichtigen und erleben:

Es gibt aber natürlich auch Mauerstücke, die zerfallen sind. So hier dieses Mauerstück im Skigebiet bei Thaiwoo. Ich vermute, man wird es bei den olympischen Winterspielen 2022 auch im Fernsehen sehen können: Ein Stück der großen Mauer (zugegeben recht zerfallen) läuft direkt an der Skipiste entlang.

China ist für mich nicht nur das Land der großen Mauer, sondern auch das Land der Mauern im Allgemeinen: überall Mauern. Jedes Grundstück und selbst Brachland ist meistens (zumindest in Beijing und in den anderen Städten, die wir gesehen haben) mit übermannshohen Mauern umgeben. Manchmal auch mit Zäunen, aber in der Regel mit Mauern, die es nicht erlauben hindurchzuschauen.

Häufig sind die Mauern sehr viel liebevoller gestaltet als bei uns. Die typische Pekinger Mauer hat einen grauen Fuß, ist im Mittelbereich verputzt, weiß gestrichen und hat ein wiederum graues Ziegeldach. Unser Compound ist auch in diesem Stil gestaltet.

Oft sind in regelmäßigen Abständen noch ornamentale Verzierung oder Fenster in die Mauer eingelassen.

Seltener sind die Mauern bemalt und beschriftet:

Auch sehr schöne Tore und Durchlässe durch die Mauern gilt es zu bewundern. Für mich ist die runde Schlüsselloch-Öffnung besonders fernöstlich-exotisch und hübsch. Die Durchgänge haben in der Regel auch ein Dach und traditionell eine Schwelle, die die bösen Geister abhält; Geister können offenbar nicht über eine Schwelle klettern. Beim Durchschreiten des Durchganges steigt der Mensch über die Schwelle. Es bringt wohl Unglück auf die Schwelle draufzutreten. Der Balken, der die Schwelle darstellt, ist oft so eingesetzt, dass man ihn leicht herausnehmen kann. Das ermöglicht es schwere Lasten rollend durch den Durchgang zu bewegen. Für einen kurzen Augenblick steigt dabei vermutlich die Wahrscheinlichkeit, dass ein Geist den Durchgang passiert.

Die Mauer und die Geister sind in der chinesischen Kultur tief verankert. In der traditionellen Pekinger Hutong Architektur gibt es zur Gasse (zum Hutong) hin eine übermannshohe Mauer oder eine Außenmauer eines Gebäudes, die keine oder nur sehr wenigen Fenster oder Öffnungen hat. Daher musste sich der Händler oder Dienstleister auf der Straße akustisch bemerkbar machen. Und das findet man noch heute: Händler oder Messerschärfer, die rufend durch die Straße ziehen, um ihre Ware oder Dienstleistung anzupreisen. Die Mauer, die den Wohnbereich zur Straße hin abgrenzt, ist durch ein Tor unterbrochen. Damit jedoch keine Geister durch das Tor in den Innenhof und das Haus gelangen, steht in der traditionellen Architektur im Hof eine weitere Mauer direkt hinter der Türöffnung, um die man herumlaufen muss. Geister können offenbar auch nicht um die Ecke laufen. Diese Geistermauern findet man auch heute noch. Hier zwei Beispiele, links aus unserer Wohnanlage, rechts in ziemlich mächtig und aus Beton vor einem Nobelrestaurant:

Mauern um Tempel und Paläste sind in der Regel rot. Das ist aber nicht exklusiv, auch Privatgrundstücke können mit roten Mauern umrandet sein. Das spezielle Rot der Palast- und Tempelmauern ist als Fotohintergrund sehr beliebt. So findet man bei schönem Wetter oft Menschen, die vor einer gut gepflegten roten Wand ihre Portraitfotos machen.

Interessanterweise gewöhnt man sich an die Mauern. Irgendwann nimmt man sie gar nicht mehr so richtig war. Wenn man im Urlaub in der naturbelassenen Natur ist, nimmt man vielleicht wahr, dass man sonst sehr viel Mauern und Begrenzungen im Alltagsbild hat.

Eine Mauer verschandelt hier das Straßenbild viel weniger, als wir das in Deutschland oft haben.

Hilfreich dabei ist, dass es praktisch keine Plakatierung oder Graffitis an den Mauern gibt. Vermutlich ist das Strafmaß für solcherlei „Verschönerungen“ exorbitant. Und die Mauern bleiben dadurch schön. Durch die allgegenwärtige Kamera-Überwachung ist es auch schwierig unentdeckt zu sprayen. Nicht so schön sind die Bauzäune, die man auch allenthalben findet. Dadurch, dass so viel und so groß gebaut wird, gibt es überall riesige Baustellen, die in der Regel mit Bauzäunen umgeben sind. Mindestens mannshoch, manchmal aber auch sieben oder acht Meter hoch. Ich denke, die Zäune dienen auch dazu, die Staubbelastung der Umgebung durch die Baustellen zu reduzieren (trotzdem ist es in Peking aufgrund der Trockenheit sehr staubig, Peking ist halt staubtrocken…). Die Bauzäune sind nicht immer super gepflegt und manchmal steht der Bauzaun auch so lange, dass die Hecke schon drüber wuchert:

Auch die Stadtmauer hat in China eine großartige Vergangenheit. Die Stadtmauer von Xi’an (einer alten Hauptstadt) ist viele, viele Meter hoch und breit wie eine mehrspurige Straße. Heute kann man oben auf der Stadtmauer eine Radtour machen – wir haben davon berichtet. Der Vollständigkeit halber nochmal ein besonders eindrucksvolles Bild der Stadtmauer von Xian: Mindestens 10 Meter hoch, mehr als 10 Meter breit und etliche Kilometer lang. Auf diesem Foto ist links auch eine rote Tempelwand zusehen. Davor wie beschrieben Menschen, die Fotos machen – hier offenbar Hochzeitsfotos.

Die gezeigte Stadtmauer von Xian ist besonders bekannt und in einem guten Zustand. Natürlich war auch Peking von einer großen Stadtmauer umgeben. Auch andere große und viele „kleinere“ Städte (wie Datong, wo wir im Oktober waren) und dutzende andere Städte hatten eindrucksvolle Stadtmauern. Zum Teil werden diese heute wiederaufgebaut, wohl als Touristenattraktion aber auch um sich auf sein kulturelles Erbe zu besinnen. Man stelle sich vor, deutsche Städte würden ihre mittelalterlichen (oder gar römischen) Stadtbefestigungen wiederaufbauen!

Von dem Dorf im Nirgendwo von Gansu, dass mit einer mindestens 8 Meter hohen Stadtmauer aus Lehm umgeben ist, haben wir berichtet. Hier eine andere schöne Mauer in Lehm aus der Provinz Gansu, die in einer Tempelanlage „irgendwas“ von der Gasse abtrennt. Sicher auch fünf oder sechs Meter hoch.

Wir wünschen Euch,

dass Ihr immer den Durchgang

durch die hoffentlich schöne Mauer findet

und euch keine bösen Geister folgen.

Einen guten Rutsch und ein friedliches Jahr 2022!

von Euren fünf Hilgers in China

2 Kommentare zu „Das Land der vielen Mauern

  1. Danke, Michael. Wieder mal ein sehr lesenswerter Beitrag. Viele Grüße und alles Gute. Bei den beschränkten chinesischen Geistern kann da ja nicht arg viel schief gehen :-).

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  2. Hallo Familie Hilgers Hallo Mo, Michael, Paul , David , Julia Wir wünschen Euch auch alles Gute für 2022 und wenig bzw. ganz kleine Mauern zwischen den Menschen. Ihr erlebt sehr viel und fühlt Euch offensichtlich wohl. Trotzdem hoffe ich das Ihr Euch auch wieder auf Deutschland freut. Michael, bitte bestell auch Grüße an Deine Mutter bis bald Urs . P.S. Wir fahren morgen für eine Woche ins Ötztal zum Skifahren. Da haben wir uns schon länger drauf gefreut. Vorallem weil es jetzt wirklich klappt. Simone, Jannika und ich sind geboostert, Julius hat gestern einen PCR Test gemacht und heute das Negativ Ergebniss erhalten. Jetzt dürfen wir einreisen – was für ein Zirkus Familie Hilgers

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